Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, 10 % seines Waldes der natürlichen Waldentwicklung ohne forstliche Nutzung zu überlassen. Doch der Schutz in den bewirtschafteten öffentlichen und privaten Wäldern liegt nach wie vor im Argen. Auch die Walderlasse vom 21. Oktober 2015 sind aus Sicht der Umweltverbände BUND, Greenpeace und Nabu unzureichend und europarechtswidrig.
Kritikpunkte
Besonders unverständlich ist es, dass sich der Zustand in den geschützten Wäldern sogar verschlechtern darf, indem in Buchenwäldern bis zu 10 % gebietsfremder Baumarten sogar in die wertvollsten Kernflächen neu dazu gepflanzt werden dürfen. Dabei sollte ja gerade der naturnahe Zustand geschützt und gefördert werden. Ähnlich unzureichende Vorgaben gibt es bei den Regelungen, wie viele alte Bäume, Bäume mit Baumhöhlen oder abgestorbene Bäume erhalten werden müssen.
Den Naturschutzbehörden, denen die Verantwortung für die Schutzgebiete übertragen wurde, sind mit den neuen Vorschriften vielfach die Hände gebunden, gegen Zerstörungen einzuschreiten. So haben sie bei Baumaßnahmen an Wegen, Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln, Kalkung der Waldes, Fräsen und Pflügen des Waldbodens oder Zerschreddern der Bodenvegetation und Strauchschicht mit sogenannten Forstmulchern nur das Recht, informiert zu werden. Notwendig wäre es hingegen, dass sie solche Eingriffe in Schutzgebieten erlauben oder untersagen müssen.
Die Vorschriften sind zudem viel zu kompliziert, in jedem Schutzgebiet bestehen unterschiedliche Regelungen: Je nachdem, welcher Lebensraumtyp auf einer Waldparzelle vorkommt, wie sein Zustand ist und ob bestimmte Fledermäuse oder Spechte vorkommen, müssen zum Beispiel drei, zwei oder kein Totholz-Stamm bei der Waldbewirtschaftung erhalten bleiben. In anderen Bundesländern wie Brandenburg, aber auch in vielen bestehenden niedersächsischen Naturschutzverordnungen, haben sich hingegen Regelungen bewährt, die einheitlich für das ganze Schutzgebiet gelten und anspruchsvoller sind.
Bis auf das nun geltende Kahlschlagverbot auf den wertvollsten Kernflächen sind die Umweltverbände äußerst unzufrieden mit den Erlassen. Das Regelwerk ist von vorne bis hinten mangelhaft und europarechtswidrig. Umweltminister Wenzel und Forstminister Meyer haben ihre Chance verspielt, Niedersachsen zu einem Vorbild beim Naturschutz in den forstlich genutzten Wäldern zu machen.
Hintergrund
Bis spätestens zum Jahr 2013 hätten die Länder – nach den Vorgaben der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) – Schutzverordnungen für Natur- und Vogelschutzgebiete erlassen müssen. Weil die frühere Landesregierung unter Umweltminister Sander die Umsetzung dieser internationalen Verpflichtung verweigert hatte, ist ein Großteil der FFH-Gebiete in Niedersachsen noch ohne Schutz. Die Europäische Kommission hat im Jahr 2015 wegen dieser Rechtsverstöße ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, bei dem eine Verurteilung mit Strafzahlungen in Millionenhöhe droht.
In den Tagen des Regierungswechsels hat die scheidende Landesregierung die beiden Erlasse „Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung“ und „Schutz, Pflege und Entwicklung von Natura 2000-Gebieten im Landeswald" herausgegeben. Ungeachtet der erheblichen Kritik von Naturschutzverbänden zog die neue Landesregierung die Erlasse nicht zurück. Vielmehr teilte das Umweltministerium den Naturschutzbehörden mit, dass die Erlasse überprüft werden sollten, und empfahl, bis dahin keine Schutzverordnungen für Wälder in FFH-Gebieten zu erlassen. Da drei Viertel der niedersächsischen FFH-Gebiete ganz oder teilweise aus Wäldern bestehen, kam dies einem verordneten Stillstand bei der Unterschutzstellung gleich – trotz laufenden Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission.
In Stellungnahmen bei insgesamt drei Verbändebeteiligungen und mit einem Rechtsgutachten hatten BUND, Greenpeace und Nabu deutlich gemacht, dass sowohl die alten als auch die Entwürfe der neuen Walderlasse gegen europäisches Naturschutzrecht verstoßen. Auch die Neufassung der Erlasse enthält jedoch nach wie vor gravierende Mängel.