BUND Landesverband Niedersachsen

Rechtswidrige Regeln für Naturschutz im Wald - Erhebliche Bedenken von Umweltverbänden gegen neue Walderlasse

27. Oktober 2015 | Artenschutz (NI), Lebensräume, Wald (NI)

Hannover. Für die nach Europarecht zu schützenden Wälder in Niedersachsen müssen Schutzverordnungen erlassen werden. Was nach diesen Schutzverordnungen erlaubt und verboten sein soll, hat das Land jetzt in zwei Erlassen vom 21. Oktober festgelegt. Diese Regeln sind aber, so die Umweltverbände BUND, Greenpeace und NABU, misslungen und werden zu unzureichenden und damit europarechtswidrigen Schutzverordnungen führen.

Besonders unverständlich ist es für die Naturschützer, dass nach den Vorschriften von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium ausdrücklich erlaubt werden soll, den Zustand in schutzwürdigen Wäldern zu verschlechtern. „Zum Beispiel soll in den Schutzverordnungen zugelassen werden, dass in Buchenwäldern ein Anteil von zehn Prozent Baumarten, die hier von Natur aus nicht wachsen würden, neu dazugepflanzt werden dürfen“, kritisiert Ulrich Thüre, Pressesprecher des NABU Niedersachsen. „Das ist völlig abwegig, denn auf diesen Flächen soll ja gerade der naturnahe Zustand geschützt, gefördert und jede Verschlechterung verhindert werden.“ Ähnlich unzureichende Vorgaben gebe es unter anderem bei den Regelungen, wie viele alte Bäume, Bäume mit Baumhöhlen oder abgestorbene Bäume erhalten werden müssen.

Sehr bedenklich ist es auch, dass den Naturschutzbehörden, denen vom Land die Verant-wortung für die Schutzgebiete übertragen wurde, mit den neuen Vorschriften vielfach die Hände gebunden werden, gegen Zerstörungen einzuschreiten. So hat die Naturschutz-behörde bei Baumaßnahmen an Wegen, Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln, Kalkung der Waldes, Fräsen und Pflügen des Waldbodens oder Zerschreddern der Bodenvegetation und Strauchschicht mit sogenannten „Forstmulchern“ nur das Recht, informiert zu werden. Notwendig wäre, solche Eingriffe in Schutzgebieten von einer Erlaubnis der Naturschutzbehörde abhängig zu machen oder ganz zu untersagen.

Die Vorschriften sind zudem nach Auffassung der Umweltverbände viel zu kompliziert. „In jedem einzelnen Schutzgebiet besteht im Wald ein Labyrinth unterschiedlicher Regelungen“, stellt Georg Wilhelm, Sprecher des Arbeitskreises Wald des BUND Niedersachsen, fest. „Ein Beispiel ist das Totholz, das für eine Vielzahl an Waldarten sehr wichtig ist. Je nachdem, welcher Lebensraumtyp auf einer Waldparzelle vorkommt, ob der Zustand als sehr gut, gut oder mäßig eingestuft wurde und ob bestimmte Fledermäuse oder Spechte vorkommen, müssen an Totholz drei Stämme, zwei Stämme oder überhaupt kein Stamm bei der Waldbewirtschaftung erhalten bleiben. Da blickt in der Praxis keiner durch.“ In anderen Bundesländern wie Brandenburg, aber auch in vielen bestehenden niedersächsischen Naturschutzverordnungen, hätten sich Regelungen bewährt, die einheitlich für das ganze Schutzgebiet gelten und außerdem noch deutlich anspruchsvoller sind.

Nur bei wenigen Punkten gab es nennenswerte Verbesserungen gegenüber den früheren Fassungen. Unter anderem besteht jetzt ein Kahlschlagverbot auf den wertvollsten Kernflächen.

Insgesamt sind die Umweltverbände jedoch äußerst unzufrieden. Gesche Jürgens von Greenpeace: „Mehr als zweieinhalb Jahre sind die Naturschutzbehörden vom Umweltministerium davon abgehalten worden, ihre Verpflichtungen zu erfüllen und Schutzverordnungen zu erlassen, weil noch auf die Walderlasse gewartet werden sollte. Jetzt legen zwei grüne Minister nach so langer Zeit ein Regelwerk vor, das von vorne bis hinten mangelhaft und sogar europarechtswidrig ist. Umweltminister Wenzel und Forstminister Meyer haben ihre Chance verspielt, Niedersachsen zu einem Vorbild beim Naturschutz in den forstlich genutzten Wäldern zu machen.“

Hintergrund:
Bis spätestens 2013 hätten nach den Vorgaben der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) für alle nach dieser Richtlinie zu schützende Flächen Schutzverordnungen, in der Regel Naturschutzgebiets-Verordnungen, erlassen werden müssen. Ähnliches gilt für die europäischen Vogelschutzgebiete. Insbesondere weil die frühere Landesregierung, vor allem der frühere Umweltminister Sander, die Umsetzung dieser internationalen Verpflichtung verweigert hatte, ist ein Großteil der FFH-Gebiete in Niedersachsen noch ohne Schutz. Die Europäische Kommission hat 2015 wegen dieser Rechtsverstöße ein sogenanntes Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, bei dem eine Verurteilung mit Strafzahlungen in Millionenhöhe droht.

Um Regelungen für den Schutz dieser Wälder zu schaffen, hatte die letzte Landesregierung noch in den Tagen des Regierungswechsels Erlasse herausgegeben („Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten im Wald durch Naturschutzgebietsverordnung“ und „Schutz, Pflege und Entwicklung von Natura 2000-Gebieten im Landeswald"). Ungeachtet erheblicher Kritik von Naturschutzverbänden an den Erlassen zog die neue Landesregierung die Erlasse nicht zurück. Vielmehr teilte das Umweltministerium den Naturschutzbehörden mit, dass die Erlasse überprüft werden sollten, und empfahl, bis dahin keine Schutzverordnungen für Wälder in FFH-Gebieten zu erlassen. Da drei Viertel der niedersächsischen FFH-Gebiete ganz oder teilweise aus Wäldern bestehen, bedeutete dies einen verordneten Stillstand bei der Unterschutzstellung, trotz Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission.

In Stellungnahmen bei insgesamt drei Verbändebeteiligungen und mit einem Rechtsgutachten hatten BUND, Greenpeace und NABU deutlich gemacht, dass sowohl die alten als auch die Entwürfe der neuen Walderlasse gegen europäisches Naturschutzrecht verstoßen: Gutachten zu Waldlebensraumtypen.

Jetzt ist nach über zweieinhalb Jahren die Neufassung der Erlasse erschienen (http://www.niedersachsen.de/download/101294/Nds._MBl._Nr._40_2015_vom_21.10.2015_S._1295-1306.pdf, S. 1298 ff.). Nach Meinung der drei Verbände enthalten die Erlasse nach wie vor gravierende Mängel. Unmittelbar, nachdem die Naturschutzverbände positiv anerkannt haben, dass das Land jetzt zehn Prozent seines Waldes der natürlichen Waldentwicklung ohne forstliche Nutzung überlassen will, müssen sie feststellen, dass der Schutz in den bewirtschafteten öffentlichen und privaten Wäldern nach wie vor sehr im Argen liegt. 

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