Die Verbände BUND Niedersachsen e.V. und NABU Niedersachsen e.V. fordern die Landesregierung auf, einen ambitionierten und verbindlichen Aktionsplan zum Insektenschutz zu erarbeiten und umzusetzen. Messbare Ziele, detaillierte Maßnahmen mit verbindlichen Zeitplänen und eine abgesicherte Finanzierung müssen feste Bestandteile sein. Angesichts der Bedeutung der Insekten und ihrer Lebensraumansprüche können damit auch weitere positive Wirkungen für die Biodiversität, z.B. für Wiesenvögel und Fledermäuse, erreicht werden.
Der Aktionsplan muss alle Ministerien der Landesregierung mit ihren nachgelagerten Behörden sowie Kommunen einbeziehen und über die Grenzen von Legislaturperioden hinaus wirken. Eine Begleitung der Planerstellung, Umsetzung und Evaluierung durch Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen wie den Umweltverbänden ist vorzusehen. Über den Stand der Umsetzung, die Einhaltung der Ziele und die Wirksamkeit der Maßnahmen muss die Landesregierung jährlich öffentlich Bericht erstatten. Der Aktionsplan erfordert neben dem politischen Einsatz der Landesregierung in Niedersachsen auch die Einflussnahme der Landesregierung auf Bundesebene und europäischer Ebene.
Die zentralen Themen und wesentlichen Forderungen sind:
- Förderung der Lebensraum- und Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft
- Förderpolitik für eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft
- Verringerung des Einsatzes von chemisch-synthetischen Pestiziden
- Förderung des Insektenschutzes im besiedelten Bereich
- Artenschutzforschung und -monitoring
- Bildung, Weiterbildung und Beratung
Das Land muss ausreichend Mittel bereitstellen, um die hier geforderten Maßnahmen umsetzen zu können.
Erhalt und Förderung der Lebensraum- und Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft
Die intensive Bewirtschaftung der Kulturlandschaft mit dem Einsatz immer größerer Maschinen hat über Jahrzehnte zu einer erheblichen Vergrößerung der Schläge, verbunden mit einer deutlichen Reduzierung von Landschaftsstrukturen geführt. Überlebensnotwendige Rückzugsräume für Arten der Kulturlandschaft und wichtige Biotopverbundelemente wie artenreiche Feld- und Wegränder, Brachflächen und Gewässerrandstreifen, aber auch Elemente der historisch gewachsenen Kulturlandschaft wie Hecken, Streuobstwiesen oder Kleingewässer gingen verloren. Die zunehmende Flächenkonkurrenz führt bis heute zur Umwandlung von Brachflächen und Grünland in Ackerland, die hohe Nährstoffzufuhr über mineralische und organische Dünger sowie der Eintrag in nicht bewirtschaftete Flächen lässt vor allem nährstoffarme und somit arten- und blütenreiche Lebensräume weiter schwinden.
Den gravierenden Rückgang von Lebensräumen mit hoher Wertigkeit für die Biodiversität in der Agrarlandschaft belegen Untersuchungen zum HNV-Indikator (High Nature Value Farmland Indikator): So lag der Verlust von „HNV-Flächen“ (wie z.B. artenreiches Grünland, Brachen und Landschaftselemente) zwischen 2009 und 2017 in Niedersachsen bei mehr als 23 % und damit weit über dem Bundesdurchschnitt.
Dieser massive Verlust an arten- und blütenreichen Lebensräumen und Landschaftselementen der Kulturlandschaft bedeutet einen gravierenden Rückgang an Nist- und Nahrungsplätzen für die heimische Insektenfauna. Auch Moore, insbesondere Hochmoore, und Wälder sind wichtige Lebensräume für seltene Insektenarten und haben darüber hinaus vielfältige Bedeutung für den Natur- und Klimaschutz.
Die Verbände fordern daher von der Landesregierung:
Natura 2000 ist das größte Schutzgebiets-Netzwerk weltweit. Natura-2000-Gebiete sind ein wichtiges Instrument, um den voranschreitenden Schwund von Tier- und Pflanzenarten und damit auch der Insektenvielfalt zu stoppen. Bis 2020 wollen die Regierungen der 28 EU-Staaten das dramatisch voranschreitende Artensterben stoppen und damit beginnen, angeschlagene Ökosysteme wiederherzustellen. Mit der Fauna-Flora-Habitat- (FFH) und der Vogelschutzrichtlinie der EU haben sie sich rechtlich verpflichtet, die wichtigsten Arten und Lebensraumtypen wieder in einen guten Erhaltungszustand zu bringen. Niedersachsen ist von diesem Ziel nach wie vor weit entfernt. Die Gebietskulisse ist in Niedersachsen immer noch nicht fachgerecht abgeschlossen und die notwendige Überführung der gemeldeten Gebiete in nationale Schutzgebietskategorien verläuft ebenso schleppend wie die Managementplanung, so dass die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat. Die fachgerechte Umsetzung krankt an einer fehlenden Konkretisierung der Erhaltungsziele und Erhaltungsmaßnahmen zur Erreichung eines günstigen Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen und Arten, Geldmangel und einer guten Betreuung der Schutzgebiete, so dass sich viele bestehende Schutzgebiete fortlaufend verschlechtern. Die Landesregierung muss fachaufsichtlich umgehend tätig werden, um die Umsetzung von Natura 2000 in Niedersachsen zu gewährleisten. Das System der vor Ort Gebietsbetreuung durch geeignete Einrichtungen wie Ökologische Stationen ist entsprechend auszubauen.
Voraussetzung für den Schutz der Biodiversität ist ein landesweites Biotopverbundsystem. In Agrarlandschaften muss das Netz räumlich und funktional verbundener Biotope mindestens 10 % des Offenlandes bis 2022 und 13 % bis 2027 umfassen. Hierzu bedarf es einer Neuaufstellung des Landschaftsprogrammes und eine verbindliche Biotopverbundplanung unter Berücksichtigung der Lebensraumansprüche insbesondere der Insekten. In der Niedersächsischen Naturschutzstrategie formulierte Absichtserklärungen (Aktionsprogramme für Landschaften bzw. Lebensräume einschl. Biotopverbund) müssen umgehend umgesetzt werden, dazu sind die erforderlichen Ressourcen auch für die Pflege der Biotope bereit zu stellen. Wichtige Elemente des Biotopverbundsystems sind Gewässerrandstreifen und ausreichend breite Wegraine, in die Ackerrand- und Brachestreifen integriert werden. Daraus ergeben sich folgende Forderungen:
- Einführung ausreichend breiter, gesetzlich festgelegter Gewässerrandstreifen:
An Gewässern 1. und 2. Ordnung müssen 10 Meter, an Gewässern 3. Ordnung und entlang von allen anderen Binnengewässern (inkl. Kleingewässern) 5 m Randstreifen mit Nutzungsbeschränkungen zum Einsatz von Dünger und Pestiziden gesetzlich festgelegt werden. Eine ackerbauliche Nutzung bis zu einem Abstand von 5 Meter zum Ufer muss untersagt werden, wobei die Anlage, Beibehaltung und Pflege mehrjähriger Blühstreifen zulässig bleiben muss. Weiterhin darf keine Ackernutzung in Flussauen im Bereich des gesetzlichen Überschwemmungsgebietes stattfinden. Eine Novellierung des Niedersächsischen Wassergesetzes (NWG) mit den genannten Vorgaben ist bis spätestens Ende 2019 zu realisieren. Gewässerrandstreifen bilden wesentliche Achsen für einen Biotopverbund und schützen den Lebensraum Gewässer vor Einträgen von Pestiziden, Nährstoffen und Sedimenten. Die gesetzliche Regelung für Gewässerrandstreifen in Niedersachsen ist derzeit völlig unzureichend. 80 % aller Fließgewässer in Niedersachsen sind Gewässer 3. Ordnung, die bisher keinen ausreichenden gesetzlichen Schutz durch das NWG genießen.
- Schutz ausreichend breiter Wegraine:
Selbst die niedrig formulierten gesetzlichen Vorgaben zum Schutz von Wegrainen (Verbot der Düngung, Pestizidbehandlung, keine Nutzung als Vorgewende) werden heute häufig nicht eingehalten. Die Wiederherstellung der Breite der Wegeparzellen setzt einen Abgleich der Besitzverhältnisse bei Feldblock- und Flurstückgrenzen voraus. Durch ausreichende Kontrollen sind die gesetzlich verpflichtenden Mindestanforderungen umgehend und konsequent durchzusetzen und die Wieder-in-Wertsetzung der Wegraine zu garantieren. Eine naturschutzfachlich begründete Pflege ist durchzuführen.
Insbesondere Schutzgebiete als Kernflächen der biologischen Vielfalt müssen vor Einträgen aus Nährstoffüberschüssen geschützt werden, um wertvollste, nährstoffarme Biotope zu erhalten. Deshalb ist der Einsatz von mineralischen Stickstoffdüngern sowie die Ausbringung von organischen Flüssigdüngern in folgenden Schutzgebieten erheblich einzuschränken und unter Genehmigungsvorbehalt der zuständigen Naturschutzbehörde zu stellen: Naturschutzgebiete, FFH- und Vogelschutzgebiete, gesetzlich geschützte Landschaftsbestandteile und gesetzlich geschützte Biotope. Um die flächenhafte Eutrophierung der Landschaft künftig einzudämmen, sind eine Verschärfung der Düngeverordnung, die ambitionierte Umsetzung in Niedersachsen insbesondere bei der Ausweisung der roten Gebiete mit den zu ergreifenden Maßnahmen und die verbindlichen Kontrollen erforderlich. Stickstoffhaltige Emissionen aus der Massentierhaltung müssen durch Reduktion der Tierbestände durch Bindung an die Fläche mit max. 2 Großvieheinheiten/ Hektar bei Eigentums und Pachtflächen verringert werden, damit auch der erhebliche flächendeckende Nährstoffeintrag aus der Luft verringert wird. Es muss bis Ende 2019 ein Förderprogramm entwickelt werden, das die örtlich und betrieblich erforderliche Reduzierung der Tierdichte unterstützt. Die einzelbetriebliche und regionale Tierdichte soll für Stallanlagen bis 2030 an die 2-GVE/ha-Grenze angepasst werden. Neugenehmigungen müssen ab dem 01.01.2020 diesen Standard erfüllen.
Zahlreiche für Insekten bedeutsame Biotoptypen (wie z.B. hochstaudenreiche Nasswiesen, Streuobstwiesen, mesophyles Grünland) unterstehen aktuell keinem gesetzlichen Schutz und sind keinem nach FFH-Richtlinie geschütztem Lebensraumtyp zuzuordnen. Diese Lebensräume für seltene und bedrohte Bestäuber-Arten sind bis Ende 2019 in den § 24 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes (NAGBNatSchG) aufzunehmen und anschließend zu erfassen. Das Management dieser Lebensräume muss auch auf die Bedürfnisse von Insekten abgestimmt werden.
Artenreiches Grünland ist ein bedeutender Lebensraum nicht nur für Insekten, der Rückgang ist in Niedersachsen im Vergleich zum bundesdeutschen Gesamtwert überdurchschnittlich hoch. Dringend erforderlich sind ein gesetzliches Umbruchverbot von Grünland, ein Verbot der Nutzungsintensivierung und der deutliche Ausbau der Förderprogramme für den Erhalt von artenreichem, extensivem Grünland.
Künftig müssen nicht erfolgte oder unsachgemäß ausgeführte Kompensationsmaßnahmen geahndet werden. Alle Behörden von Kommunen bis Bundesbehörden müssen Kompensationsflächen und -maßnahmen zur Eintragung in das Kompensationskataster melden. Es darf keine Branche, die Einfluss auf Natur und Umwelt hat, bei der Eingriffsregelung ausgenommen werden.
Intakte, naturnahe Gewässer sind bedeutende Lebensräume für Insekten. Eine Zwischenbilanz zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie in Niedersachsen zeigt jedoch, dass nur 2 % der Gewässer einen guten ökologischen Zustand aufweisen. Die Art und Weise der Gewässerunterhaltung ist für die Pflege und Entwicklung von Gewässern von wesentlicher Bedeutung. Eine stärker ökologische Ausrichtung der Gewässerunterhaltung gemäß des Leitfadens „Berücksichtigung artenschutzrechtlicher Belange bei Maßnahmen der Gewässerunterhaltung“ (Bek. D. MU v. 06.07.2017 Nds. MBV Nr. 27/2017) muss deshalb künftig im Niedersächsischen Wassergesetz festgeschrieben werden. Als verbindliche Grundlage für die Gewässerunterhaltung muss die Aufstellung landkreisweiter Unterhaltungsordnungen und Unterhaltungsrahmenpläne bis Ende 2019 im Niedersächsischen Wassergesetz verankert werden.
Etwa 30 % der Landesfläche Niedersachsens sind mit Wald bedeckt. Der Zustand vieler Waldbestände ist in hohem Maße besorgniserregend. Insbesondere die Totholz bewohnenden Arten, die eine elementare Rolle für das Ökosystem Wald spielen, sind in der Vergangenheit massiv zurückgegangen. Deshalb muss die Forstpolitik der Landesregierung künftig vor allem der Erhaltung des Waldes als ökologischer Ausgleichsraum für die Tier- und Pflanzenwelt, Klima, Luft und Wasser sowie der Erholung der Bevölkerung dienen. Speziell für die Insektenvielfalt sind strukturreiche Wälder mit verschiedenen Baumarten unterschiedlicher Altersstruktur inklusive Totholz notwendig. Je vielfältiger Wälder strukturiert sind, desto höher ist das Vorkommen ökologischer Nischen und somit die Gemeinschaft der dort lebenden Arten, damit auch der Insekten. Dies erfordert ausreichende Totholzbereiche, eine standortgerechte Pflanzung oder Naturverjüngung mit überwiegendem Anteil von Laubbäumen und die Bindung von Forst-Fördergeldern an die Erbringung von Naturschutzleistungen. Die aktuelle Räumung der Wälder nach Borkenkäferbefall oder nach Absterben der Bäume durch Trockenstress gefährdet die für viele Arten notwendige Habitatkontinuität. Deshalb muss die Waldpolitik der Landesregierung so ausgerichtet werden, dass
- keine großmaschinelle Räumung oder Bodenbearbeitung von Verjüngungs- einschließlich Kalamitäts-Flächen öffentlich gefördert wird,
- bei der Forstförderung im Rahmen der Wiederbewaldung ein Vorrang für standortgerechte Naturverjüngung einschließlich der Pionierbaumarten (ggf. auch in Form von sog. „Zeitmischungen“ und „Vorwälder“) festgelegt wird,
- in Schutzgebieten und in FFH-Lebensraumtypen auch außerhalb von Schutzgebieten nur die Pflanzung lebensraumtypischer Gehölzarten gefördert wird und
- außerhalb von Schutzgebieten nur die Pflanzung klimaplastischer, europäischer Baumarten gefördert wird, wobei (in Anlehnung an das LÖWE-Programm) ein Laubbaumanteil von mindestens 65 %, welcher den Boden und die Grundwasserbildung verbessert, je Fördermaßnahme einzuhalten ist,
- die Zahlung von Forst-Fördergeldern an die Erbringung von Naturschutzleistungen wie die Erhaltung von Habitatbäumen und Altbeständen geknüpft wird,
- strenge Vorkehrungen gegen die weitere Einschleppung invasiver Forstpathogene (schädliche Pilz- und Insektenarten) getroffen werden,
eine ökosystemverträgliche Jagdausübung gesichert ist.
Förderpolitik für eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft
Niedersachsen ist Agrarland Nr. 1 in Deutschland, mehr als die Hälfte des Bundeslandes (rund 2,6 Millionen Hektar) werden landwirtschaftlich genutzt. Gerade deshalb können Natur- und Artenschutz nur gemeinsam mit einer nachhaltigen, natur- und umweltverträglichen Landwirtschaft funktionieren. Die industrielle Landwirtschaft stellt in der heute betriebenen Form eine Gefahr für die biologische Vielfalt im Offenland als auch für die oberirdischen Gewässer und das Grundwasser dar. Neben dem intensiven Maisanbau und dem stetig steigenden Einsatz von Düngemitteln und chemisch-synthetischen Pestiziden ist insbesondere auch der großflächige Verlust von artenreichem Grünland für den massiven Rückgang zahlreicher Tiere und Pflanzen verantwortlich. Um den Artenschwund in der Landschaft zu stoppen, muss neben einem zielführenden Ordnungsrecht eine natur-, klima- und tierschutzgerechte Landwirtschaft gezielt gefördert werden. Dazu muss das Land Niedersachsen eigene Möglichkeiten nutzen, in dem Landesmittel für Ökolandbau und wirksame Agrarumweltprogramme deutlich aufgestockt werden.
Gleichzeitig muss die Landesregierung darauf einwirken, die bisherige Subventionslogik in der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP) zu verändern: Öffentliche Gelder dürfen nur für öffentliche Leistungen eingesetzt werden, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen. Die Einbindung von Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt in die gute fachliche Praxis (z.B. Ackerrandstreifen, Extensivgrünland, „großflächige Lerchenfenster“) muss in die Konditionalitäten der zukünftigen GAP einfließen.
Die Verbände fordern im Einzelnen:
Durch ökologischen Landbau können Risiken, die zum Insektensterben beitragen, erheblich reduziert werden (z.B. durch Verzicht auf chemisch-synthetische Pestizide und mineralischen Stickstoffdünger). Gleichzeitig leistet der Ökologische Landbau einen wirksamen Beitrag zur Erhaltung von Landschaftsstrukturen und Vielfalt in der Kulturlandschaft und bietet so mehr Lebensraum für Insekten. Die Verbände fordern deshalb Maßnahmen der Landesregierung, um den Anteil des Ökologischen Landbaus an der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Niedersachsen zu steigern. Dabei müssen landeseigene Flächen Vorbildfunktion erfüllen. Die Ziele des „Aktionsplans für mehr Ökolandbau in Niedersachsen“ müssen weiterentwickelt werden und die Maßnahmen müssen mit verbindlichen Zeitplänen umgesetzt werden.
Niedersachsen hat für Wiesenvögel eine besondere nationale und internationale Verantwortung. Alle Arten sind im Rückgang begriffen, auch weil sie auf Insekten als Nahrungsgrundlage für die Kükenaufzucht angewiesen sind und daher besonders unter dem Insektenschwund leiden. Das gilt nicht nur für anspruchsvolle Brutvögel wie Kampfläufer und Uferschnepfe, sondern auch für ehemals weit verbreitete Arten wie Kiebitz und Feldlerche. Bislang ist das Land dieser Verantwortung nicht gerecht geworden. Deshalb muss künftig ein sachgerechter konsequenter hoheitlicher Schutz mit entsprechendem Erschwernisausgleich umgesetzt werden. Bis Ende 2019 muss ein ambitioniertes Programm zur Rettung der Wiesenvögel und weiterer Arten der Offenlandschaft von der Landesregierung beschlossen werden.
Wie der fortschreitende Verlust an Biodiversität zeigt, reichen Umfang und Qualität bisheriger Förderprogramme bei weitem nicht aus, um das dramatische Insektensterben in Niedersachsen zu stoppen. Bisherige Agrarumweltprogramme sind mit besonderem Fokus auf ihre Wirksamkeit für den Insektenschutz zu optimieren und mit deutlich mehr Finanzmitteln auszustatten. So werden alleine in den Natura-2000-Gebieten jährlich ca. 90 Mio. € benötigt, um den von der EU geforderten günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen und FFH-Arten zu erhalten oder wiederherzustellen.
Schwerpunkte bei der Verbesserung der Qualität der Agrarumweltprogramme sind u.a.:
- Einrichtung eines Programms für extensive Weidelandschaften, die nachweislich eine sehr positive Wirkung auf Insekten haben. Notwendig ist die Einführung einer Weideprämie für Schafe, Ziegen, Mutterkühe, Milchkühe und deren Nachzucht. Die extensive Beweidung fördert in besonderem Maß die Vielfalt sowohl von Pflanzen als auch von Insekten bis hin zu Wiesenvögeln und muss durch entsprechende Anreize in Wert gesetzt werden. Die Förderung der Weidehaltung muss mit einer deutlichen stärkeren finanziellen Unterstützung bei präventiven Maßnahmen zum Herdenschutz verbunden werden. Aufgrund der Wirkung auf die Zersetzerkette sind prophylaktische Antiparasitikagaben bei Nutztieren umgehend zu reduzieren.
- Die Etablierung eines Blütenmanagements, z.B. durch deutlich stärkere Förderung mehrjähriger Blühstreifen, die Entwicklung von „Insektenweiden“ mit standorttypischen Wildkräutersaaten regionaler Herkunft und weitgehenden Verzicht auf konkurrenzstarke (bestandsdominierende) und nicht heimische Pflanzen wie z.B. Phacelia.
- Förderbedingungen müssen geändert werden, damit das Entstehen wertvoller Landschaftsstrukturen, wie mehrjährige Säume und Hecken nicht zum Ausschluss der Förderung führen und Landwirte, die einen Beitrag zum Naturschutz leisten, zukünftig belohnt statt bestraft werden.
- Einrichtung einer Agrarumweltmaßnahme für Insekten- und Artenförderung in Saumbiotopen wie Wegrainen und Hecken.
Landwirte müssen Beratung in Anspruch nehmen können, wie naturschutzfachliche Maßnahmen auf den jeweiligen Betriebsflächen zielgerichtet umgesetzt werden können. Auch müssen ausreichend Informationen über Alternativen zum Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide zur Verfügung stehen. Diese Beratung muss für Landwirte kostenlos sein. Aufgaben der Naturschutzberatung sollten auch an Einrichtungen der Gebietsbetreuung wie z.B. Ökologische Stationen übertragen werden.
Die Gemeinsame EU-Agrarpolitik ist ein Schlüsselinstrument für die Umsetzung eines flächendeckenden Schutzes für Natur und Umwelt im ländlichen Raum. Daher muss sich die Landesregierung auf Bundes- und EU-Ebene dafür einsetzen, dass öffentliche Gelder künftig nur für gesellschaftliche Leistungen eingesetzt werden, die über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehen.
Verringerung des Einsatzes von Pestiziden
Die großflächige Ausbringung chemisch-synthetischer Pestizide in der Landschaft stellt eine immense Belastung für Natur, Umwelt und menschliche Gesundheit dar. Insekten werden durch Insektizide (bspw. Neonicotinoide) direkt geschädigt oder verlieren durch die Beseitigung von Ackerwildkräutern mittels Totalherbiziden wie Glyphosat ihre Lebens- und Nahrungsgrundlage. Auch im Wald wird das Ökosystem empfindlich durch die Gaben von Pestiziden gestört.
Unsere Forderungen zur Reduktion des Pestizideinsatzes sind:
Bis 2022 ist ein verbindliches Reduktionsziel von mindestens 50 % festzuschreiben. Begleitend müssen Alternativen zum Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden im Rahmen einer Ackerbaustrategie weiterentwickelt werden und in die breite Anwendung kommen. Dazu gehören u.a. vielfältigere Fruchtfolgen, Mischkulturen, mechanische Unkrautbekämpfung, Wahl unempfindlicherer Sorten, Zwischenfruchtanbau und der Einsatz von heimischen Nützlingen. Die pfluglose Bodenbearbeitung darf nur gefördert werden, wenn der Einsatz von Totalherbiziden unterbleibt. Die Förderung von Pestizidanwendungen im Wald muss ab 01.01.2020 unterbleiben.
Schutzgebiete müssen als Zentren der biologischen Vielfalt und vielerorts letzte Rückzugsgebiete für bedrohte Arten fungieren. Von hier aus muss eine Wiederbesiedlung der Landschaft über Biotopverbundstrukturen erfolgen. Studien belegen jedoch, dass selbst in Schutzgebieten die Biomasse von Fluginsekten dramatisch abgenommen hat. In Naturschutzgebieten, FFH- und Vogelschutzgebieten, gesetzlich geschützten Landschaftsbestandteilen und gesetzlich geschützten Biotopen ist deshalb ein konsequentes Verbot von chemisch-synthetischen Pestiziden durchzusetzen. Auch sind ausreichend breite, pestizidfreie Pufferstreifen einzurichten, um eine Verdriftung in die Schutzgebiete zu verhindern.
Eine Umsetzung des Verbotes in allen neuen Schutzgebietsverordnungen muss ab 01.01.2020 erfolgen, eine Nachbesserung in bestehenden ist bis 2025 umzusetzen. Das Verbot von Pestiziden in Schutzgebieten erfordert eine deutliche Aufstockung des Erschwernisausgleiches und ein zusätzliches Angebot für Ackerbau.
Mit dem Einsatz von Pestiziden in Privatgärten werden unkontrolliert Gifte im Grünbereich besiedelter Bereiche eingebracht. Städte, Gemeinden, Landkreise, Kirchengemeinden, Industrieunternehmen, Bundeswehr, Straßenbaubehörden, Bahn, Wasser- und Bodenverbände beantragen Ausnahmegenehmigungen zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf Nichtkulturflächen und bekommen diese von Pflanzenschutzämtern genehmigt. Alternativen zum Pestizideinsatz sind mechanische und thermische Verfahren. Nicht nur für Bienen und Wildbienen sind diese Maßnahmen vorteilhaft, sondern auch für die menschliche Gesundheit und die Lebensqualität. Ab dem 01.01.2020 sind keine Ausnahmegenehmigungen mehr auf Nichtkulturlandflächen zu erteilen. Laut niedersächsischem Pflanzenschutzamt werden derzeit jährlich mehr als 400 Ausnahmegenehmigungsbescheide für fast 6.000 Standorte und über 2.000 km Gleisanlagen erteilt.
Auf landeseigenen Flächen und in den Domänen ist ein umgehender Ausstieg aus der Anwendung von Totalherbiziden wie Glyphosat und den Insektiziden der Neonicotinoiden-Wirkstoffgruppe zu erwirken sowie der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden systematisch zu reduzieren, so dass bis 2035 nur noch in begründeten Einzelfällen deren Anwendung erlaubt ist. Entsprechende Verbote sind bei auslaufenden Pachtverträgen sofort umzusetzen.
Darüber hinaus erwarten wir von der Landesregierung, sich auf Bundes- bzw. EU-Ebene für folgende Maßnahmen einsetzen:
Neonicotinoide werden in vielen Kulturen wie Obst, Gemüse, Raps oder Zuckerrüben, aber auch im Hobbygarten eingesetzt. Neonicotinoide greifen bei Insekten in das zentrale Nervensystem ein. Nicht nur die sogenannten Schädlinge, auch wichtige Insekten wie Honigbienen und Wildbienen werden dadurch getötet oder geschädigt. Die Gefährlichkeit von Neonicotinoiden für Bienen ist vielfach wissenschaftlich belegt. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die Honigbiene eine größere Resistenz gegen Pestizide wie Neonicotinoide aufweist und daher z.B. Wildbienen mit höherer Wahrscheinlichkeit von einer Insektizidexposition negativ betroffen sind. Deshalb ist ein vollständiges Verbot von Neonicotinoiden per sofort zu erwirken.
Für Totalherbizide wie beispielsweise. Glyphosat ist umgehend ein Ausstiegsszenario zu entwickeln und umzusetzen mit sofortigem Stopp jeglicher Anwendung im Privatbereich, in Kommunen, bei der Bahn, in blühenden Pflanzenbeständen im Grünland und zur Sikkation. Einzelgenehmigungen dürfen nicht zugelassen werden.
Ein Verbot bei Stoppelbehandlung, Einzelpflanzenbekämpfung im Grünland, Vorsaatbehandlung bei Mulchsaat hat in 2020 zu folgen. In einem dritten Schritt ist ein Verbot zur Vorsaatbehandlung bei Mulchsaat bis spätestens 2021 durchzusetzen.
Das derzeitige Zulassungsverfahren für Pestizide leistet keinen ausreichenden Schutz für Mensch, Tier und Umwelt. Es muss sichergestellt werden, dass in den Prüfverfahren sowohl Langzeitwirkungen als auch Kombinationseffekte mit anderen Mitteln und Wirkungen von Abbauprodukten auch auf gefährdete, seltene Insektenarten berücksichtigt werden und dass die Prüfverfahren industrieunabhängig und transparent erfolgen. Nicht die tödliche Dosis, sondern die ökologische und gesundheitliche Wirkung muss dabei der Maßstab sein.
Insektenschutz im besiedelten Raum
Wohnsiedlungen, Industrie- und Gewerbegebiete sowie Straßen nehmen immer mehr Fläche ein. In Niedersachsen hat die versiegelte Fläche zwischen 2000 und 2015 um 10,5 % zugenommen (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 18/1347). Dieser Flächenverbrauch hat massive negative Folgen: Lebensräume werden zerstört, Landschaften zerschnitten, landwirtschaftliche Flächen gehen verloren und die Flächenkonkurrenz nimmt weiter zu.
In den besiedelten Räumen der Städte und Gemeinden erfüllen naturnahe Grünflächen zahlreiche Funktionen: Sie bieten Lebensräume für eine vielfältige Pflanzenwelt, für Insekten, Vögel und andere Tierarten, gleichzeitig erhöht mehr Grün die Lebensqualität und kann einen effektiven Beitrag zur Anpassung an den Klimawandel leisten. Für den Erhalt und die Förderung der biologischen Vielfalt im besiedelten Raum tragen Kommunen eine hohe Verantwortung: Durch die Erstellung und Umsetzung von Konzepten für öffentliches Grün, eine extensive Bewirtschaftung und Pflege der Grünflächen bis hin zur Information von Bürger*innen zur Anlage und Bewirtschaftung von Privatgärten leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt im besiedelten Raum.
Daraus ergeben sich folgende Forderungen:
Die Verbände fordern die Landesregierung auf, dafür zu sorgen, dass der Flächenverbrauch im städtischen und ländlichen Raum deutlich verringert wird. Zusätzliche Versiegelungen müssen durch Rückbaumaßnahmen ausgeglichen werden, so dass eine Null-Bilanz ab dem Jahr 2020 belegt werden kann. Der Fokus auf Innenentwicklung anstatt einer Ausdehnung der Bebauung im Außenbereich ist Ziel einer nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung. Die Landesregierung muss sich für eine konsequente Umsetzung dieser Zielsetzung einsetzen.
Die Verbände fordern die Landesregierung auf, Initiativen und Projekte von Kommunen für die Erhaltung und Schaffung von Insektenlebensräumen in den Kommunen zu unterstützen. Dazu gehört z.B. eine naturverträgliche, extensive Bewirtschaftung kommunaler Flächen mit Begrenzung der Mahdfrequenz und Belassung von Altgrasstreifen, der konsequente Verzicht auf Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden, die Begrünung von Dachflächen und Fassaden und die Erarbeitung und Umsetzung von insektenfreundlichen Beleuchtungskonzepten.
Landeseigene Liegenschaften und staatliche Wohnungsbaugesellschaften müssen eine Vorbildfunktion zur Erhaltung und Förderung der Biodiversität im besiedelten Raum erfüllen. Dazu gehören Maßnahmen wie die Begrünung von Flachdächern und Fassaden, eine naturnahe Freianlagengestaltung, der Einbau von Nistmöglichkeiten und Maßnahmen zur Vermeidung von Lichtverschmutzung.
Artenschutz, Forschung und Monitoring
Obwohl Insekten, wie z.B. Wildbienen, aufgrund ihrer ökosystemaren Funktionen als Bestäuber oder Destruenten eine besondere Bedeutung erfüllen und ihr teils hoher Gefährdungsgrad belegt ist, werden sie zum Teil in der Bundesartenschutzverordnung nur als besonders geschützt geführt. Hierdurch sind sie in der Eingriffsplanung nicht zu berücksichtigen. Da z.B. viele Wildbienenarten besonders stark spezialisiert und selten sind, gehen diese Populationen durch Eingriffe besonders schnell verloren. Das Insektensterben hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Aufgrund zuvor fehlender Untersuchungsauswertungen wurde das alarmierende Ausmaß erst jetzt erkannt und durch zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen belegt. Um die Entwicklung langfristig erkennen und bewerten sowie die Wirkung von Maßnahmen evaluieren zu können, ist ein langfristig angelegtes Monitoring von Insektenarten notwendig. Wir fordern die Wiedereinrichtung und Besetzung der Fachstelle für Artenschutz mit dem aktuellen Schwerpunkt Insektenschutz.
Hieraus sind folgende Maßnahmen abzuleiten:
Es bedarf der Entwicklung von Artenschutzprogrammen für Insekten (Wildbienen/Stechimmen, Schmetterlinge, Heuschrecken, Laufkäfer, Dungkäfer) durch Landesbehörden (NLWKN) und der Definition von Zielarten auf Basis der Roten Liste Deutschland und der European Red List bis Ende 2020. Auf repräsentativen Flächen in Niedersachsen ist bis Ende 2020 ein Langzeit-Monitoring aufzubauen, um langfristige Bestandsentwicklungen feststellen zu können. Es bedarf der Förderung fundierter Forschungsprojekte an den Universitäten/Hochschulen und Landeseinrichtungen.
Es bedarf einer niedersächsischen Initiative und Einflussnahme, damit z.B. ausgewählte hochgradig gefährdete Stechimmen-, Wildbienen- und Dungkäferarten als „streng geschützt“ in die Bundesartenschutzverordnung und in die Listen nach FFH-Richtlinie (Anhänge 2 und 4) aufgenommen werden. Nur so werden ein adäquater Schutz dieser Artengruppen und eine obligatorische Berücksichtigung in der Eingriffsplanung gewährleistet.
In der Niedersächsischen Naturschutzstrategie hat sich die Landesregierung zum Ziel gesetzt, bis 2025 alle veralteten Roten Listen zu überarbeiten. Es bedarf dringend der Neubearbeitung der Roten Listen der Schwebfliegen (von 1997), der Wildbienen (von 2002), der Großschmetterlinge (von 2004) und der Heuschrecken (von 2005). Zudem sollten für weitere Insektenordnungen Rote Listen erstellt werden. Dazu müssen die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Notwendig sind außerdem regelmäßige Aktualisierungen der Roten Listen und Gesamtartenverzeichnisse. Eine Aktualisierung muss dabei alle 5 Jahre umgesetzt werden.
Bildung, Weiterbildung und Beratung
In vielen Bereichen sind mangelnde Kenntnisse über die herausragende Bedeutung von Bienen und anderen Bestäubern für unsere Ökosysteme festzustellen. Insektenexpert*innen sind rar und oft ausschließlich ehrenamtlich tätig. Die Landesregierung muss sich für eine verbesserte Aus- und Fortbildung von Artenkenner*innen, speziell auch zum Thema Insekten, einsetzen. Schulen müssen verstärkt Allgemeinkenntnisse zu Naturschutz und Landwirtschaft, Kenntnisse zur Ökologie von Insekten und zu deren Gefährdungsursachen vermitteln. Es ist ein Förderprogramm zu entwickeln, das außerschulische Lernorte und Umweltbildungseinrichtungen unterstützt, die diese Themen vermitteln. In der Ausbildung von Landwirten, Landschaftsgärtnern etc. müssen die Themen ebenfalls verstärkt vermittelt werden. Eine neue Ausrichtung des Versuchs- und Lehrwesens (Berufsschulen, überbetriebliche Ausbildung in Echem, Landwirtschaftskammer) ist dafür erforderlich. Auf kommunaler Ebene sind Schulungen zur insektenfreundlichen Pflege für Mitarbeiter*innen von Bauhöfen und Grünflächenämtern notwendig. Auf Landes- und kommunaler Ebene sowie bei den landwirtschaftlichen Berater*innen müssen die finanziellen Ressourcen und Fachkenntnisse zum Schutz von Insekten sichergestellt werden.
Stand: August 2019